Wir haben uns daran gewöhnt, die wirkliche Welt als eine von vielen möglichen zu betrachten. Dieses Bild muß zurechtgerückt werden. Alle möglichen Welten liegen innerhalb der Wirklichen.

Nelson Goodman, Tatsache, Fiktion und Voraussage


Vergangenheit?

Nie wieder Opfer sein: Die technische Innovation führt ihren Erfinder auf einen Weg, der ihn befreien soll von den Grenzen seiner Individualität und der Hinfälligkeit seines Körpers. Dieser Weg, der die bisherige Geschichte wie einen bittersüßen Traum hinter sich läßt, wird begleitet von Erinnerungen, die das Verschwindende - die zeitliche Welt - bereits zu verklären beginnen. Das Elend der vergänglichen Gattung und seine unentwegt zerfallende Umgebung werden in ein zunehmend mildes Licht getaucht, das manche Ungereimtheiten vergessen läßt. Die Utopie der vollkommenen Aufgehobenheit aller streitbaren Positionen scheint in dem Moment, in dem wir sie zu erreichen glauben, nicht mehr vor uns, sondern hinter uns. Der neue Mensch, der die Bilder der überwundenen Welt ansieht, kann kaum mehr glauben, daß hinter den vergangenen, zufällig gewordenen Formen einmal Notwendigkeit herrschte. Sein Glück ist es, daß er keinen Vergleich mehr hat, der seine Illusion von den verwirklichten Idealen beeinträchtigen könnte. So zeitlos wie seine eigene künstliche Gegenwart erscheint dem neuen Menschen schließlich das Erinnerte. Doch auch diese Simulation folgt einem Trick der Natur, die eine Wunde perfekt sich schließen läßt, damit die Verletzbarkeit des betroffenen Gliedes so weit in Vergessenheit gerät, daß es für den nächsten riskanten Einsatz wieder ganz zur Verfügung steht.


Texte ohne Verben, Köln 2002, S. 177